Nach diesem Verständnis ist Demokratie ein Entwicklungsprozess, in dem ständig ausgehandelt wird, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, an dem möglichst viele Menschen teilhaben können und in dem Bürger*innen auch ihre Freiheitsrechte gegenüber dem Staat wahrnehmen. Als Prozess ist gelebte Demokratie also nie „erreicht“ – vielmehr geht es darum, immer wieder darauf hin zu arbeiten und aktuelle Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen. Dabei müssen reale Demokratiedefizite in der politischen Kultur in den Kommunen und Regionen sowie Probleme im Zusammenleben ebenso in den Blick genommen werden wie demokratiefeindliche und menschenverachtende Einstellungen in der so genannten „gesellschaftlichen Mitte“.
Menschenrechtsorientierte Haltung
Daraus ergibt sich notwendigerweise eine Haltung der Mobilen Berater*innen, die untrennbar mit den universellen Menschenrechten und ihrer Vorstellung von Freiheit, Gleichwertigkeit und Würde aller Menschen verbunden ist, die ihren Widerhall in Artikel 1 Absätze 1 und 2 des Grundgesetztes gefunden haben. Diese normative Rahmung ist fester Bestandteil des Rollenverständnisses Mobiler Berater*innen im Gemeinwesen und unterscheidet die Mobile Beratung von anderen gängigen Beratungsansätzen.
Dies bedeutet auch, dass Mobile Beratung keine Beratungsfälle übernimmt, die offensichtlich dem Standard menschenrechtsorientierter demokratischer Kultur zuwiderlaufen. Auch wenn Mobile Berater*innen moderierend und für alle Akteur*innen ansprechbar arbeiten, vertreten sie einen eigenen aus ihren fachlichen Standards abgeleiteten ethischen Standpunkt, der das entschiedene Eintreten für eine menschenrechtsorientierte Perspektive in der praktischen Arbeit begründet. Wenn die Bedarfe der Beratungsnehmer*innen und die fachlichen Standards den Interessen lokaler Machtstrukturen in Verwaltung, Stadtgesellschaft, Verbandsstrukturen oder der Kommunalpolitik entgegenstehen, kann Mobile Beratung daher auch parteinehmend auftreten. Im Sinne der Beratungsnehmer*innen ist dann eine Intervention möglich – ggf. zugunsten von Minderheiten oder marginalisierten demokratischen Kräften.
Mobile Beratung orientiert sich zudem am Beutelsbacher Konsens, der mit seinen drei Bezugspunkten Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Neutralitätsgebot einen Rahmen für emanzipative Bildungsarbeit bietet.
Demokratische Kultur
Demokratische Kultur bedeutet, dass möglichst alle Betroffenen (Partizipation) mit ihren unterschiedlichen Forderungen und Bedürfnissen (Pluralismus) in transparente Diskussions- und Meinungsbildungsprozessen (Kommunikation) einbezogen werden. Grundlegende Menschenrechte sowie wechselseitiger Respekt, der sich aus der Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Menschen ergibt, sind der unabdingbare Rahmen einer solchen demokratischen Kultur.
Eine solche politische Kultur der Beteiligung und des Dialogs ist nur mittels breiter Information und Transparenz von Entscheidungsstrukturen möglich. Sie folgt dem Gedanken einer pluralen Demokratie, in der die Vielfalt unterschiedlicher Gruppierungen, Kulturen und Gesellschaften keine Bedrohung und kein Verlust, sondern vielmehr ein Gewinn für ein demokratisches Gemeinwesen darstellen – soweit die institutionellen Voraussetzungen für einen möglichst freien und umfassenden Austausch gewährleistet sind. Demokratie zeichnet sich aus dieser Perspektive durch selbstbewusste und aktive Bürger*innen aus, die andere Menschen unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft als gleichwertig anerkennen, Verantwortung für die friedliche Gestaltung ihrer sozialen Umwelt übernehmen, Probleme sehen und ansprechen, um diese gemeinsam mit anderen Bürger*innen durch gleichberechtigtes Sprechen und gemeinsames Handeln zu lösen.
Demokratische Kultur ist überall dort gefährdet, wo es nicht allen Menschen ermöglicht wird, an ihr teilzuhaben. Der Umgang mit gesellschaftlich marginalisierten Gruppen, Dominanz- und Unterdrückungsprozessen sowie Macht- und Herrschaftsstrukturen wird so zu ihrem Gradmesser. Sie hat dort Grenzen, wo universelle Menschenrechte nicht anerkannt und rassistische oder völkische Wertvorstellungen propagiert werden. Ein eingeschränktes Verständnis von Demokratie oder politische Ohnmachtserfahrungen können solche menschenfeindliche Einstellungen begünstigen. Ein solcher, normativ gerahmter und dynamisch verstandener Demokratiebegriff unterscheidet sich grundlegend von einem ordnungspolitisch geprägten und statischen Demokratieverständnis, das sich aus der Extremismustheorie ableitet.
Quelle: Bundesverband Mobile Beratung e.V.: Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Inhaltliche und methodische Grundsätze